Mentor oder Coach oder was - 14.5.2022

Uuuuu, Gela Löhr von Schreibrebellen by Angela Löhr hat mit der simplen Frage "Darf man sich eigentlich Experte nennen?" meine aktuelle Büchse der Pandora geöffnet.

"Ja", war meine Antwort. "Selbstverständlich. Wenn du eine bist."

Ich kotze im Quadrat bei all den tollen selbsternannten oder von mir aus auch durch irgendein Institut qualifizierten Experten, die sich so nennen, weil sie ein Buch über ihr Thema gelesen haben.

Ich kenne das - und mein dicker Hals hat sich nicht geschmälert.

Früher habe ich immer wahnsinnig unhilfreiche Tipps zum Unterrichten und meine Lehrerpersönlichkeit bekommen. Meistens von Leuten, die es 1. besser wussten (haha), 2. deswegen davon überzeugt waren, dass sie mitreden können, weil eine Schule sie qualifiziert hat.

Hä? Du glaubst, du hast Plan vom Lehrer-Sein, weil du bis zu 13 Jahre lang oder mehr irgendwelchen Kaspern beim Unterrichten zugeschaut hast?

Oh ja, ich bin auch voll die Tiefsee-Expertin, weil ich "Finding Nemo" ein paar Mal gesehen habe. Ach, und gestern hab ich mir einen Speckstein-Rochen geschnitzt. Jetzt bin ich dann auch Steinmetz.

So. Das war jetzt mal die Einleitung. Nur, damit ihr gleich wisst, wo mein Hammer hängt, und ihr euch gleich beleidigt abwenden oder aber weiterlesen könnt.

In Wahrheit geht es in diesem Artikel über den Unterschied von Coach und Mentor. Da hat nämlich alles angefangen.

Folgende Statements gelten mir als Freirupffläche:

Ein Coach ist - äh, das hab ich jetzt vergessen

Ein Mentor ist Spezialist für ein bestimmtes Thema und lehrt das.

(Da war es wieder, dieses Wissen, was lehren ist, weil man - naja, egal).

Warum?

Weil es da einen Club von Coaches gibt, die das jetzt mal so festgelegt haben.

Aha.

Hey, ich finde das gut, dass es Leute gibt, die so einen Rahmen festlegen, sonst hätten (oder haben?) wir nur noch Leute, die irgendwas machen und sich Coach nennen, weil sie als Kind mal im Fußballverein waren.

Gibt's auch einen Mentorenclub?

Was? Nein. Wieso sollte es auch. Der Mentor hat doch außer seinem Spezialwissen nix vorzuweisen. Was ist der schon?

Das war er, der Moment, wo ich meinem inneren Drachen den Mund verboten und die Kiste geschlossen habe. Unter deren Deckel es aber weitergebrodelt hat.

Was ist das, ein Mentor?

Ich will ja jetzt nicht elitär rumtun, aber ein Blick in Wikipedia hätte sagen können, dass die oben erwähnte Definition sehr, also wirklich sehr, sehr schlicht ist. (Und die Coaches dazu bringt, sich besser zu fühlen als der unausgebildete Mentor).

Da steht zum Beispiel, dass Konrad Adenauer der Mentor von Helmut Kohl war - und man kann jetzt von beiden halten, was man will, aber diese Beziehung auf ein "Lehren von Expertenwissen" zu reduzieren, ist schon echt dreist.

Um mein Verständnis vom Mentor zu verdeutlichen, geb ich jetzt mal ein bisschen mit meinem humanistischen Wissen an (das mich übrigens keiner gelehrt hat, das hab ich mir schon selber beigebracht):

Mentor hieß der Freund von Odysseus, dem er seinen Sohn Telemachos anvertraut. Der gab seinem Mentee halt des öfteren mal Ratschläge - manchmal ließ er sogar Athene durch sich sprechen. Da ratschlagte dann nicht er, sondern Göttin.

Soweit die Wortherkunft.

(Aber, hey, wer braucht schon althergebrachtes Wissen und Erfahrung und so ein Gedöns -

Wer braucht schon althergebrachtes Wissen und Erfahrung und so ein Gedöns?

Das ist es doch!

Wir sind so versessen auf unser Streben nach Evolution und Optimierung, dass wir das, was einer bereits weiß, so herabspielen. Da wird dann ein Mentor zu einem, der halt einfach nur was lehrt, was er halt gut kann.

Das haben wir gar nicht mehr auf dem Schirm, dass es seine Erfahrung ist, aus der er spricht und handelt.

Oder - noch schlimmer - NICHT handelt.

Was? Ein Mentor handelt nicht?

Nein, verdammt, ein Mentor hält aus. Der hält auch deine Ignoranz aus (na, ihr seht schon, das fehlt mir noch zum Mentor…). Weil er weiß, dass du eines Tages selber draufkommst, dass man am Gras nicht ziehen kann, damit es schneller, weiter, höher, besser wächst.

Sorry, musste kurz zurück zu Gelas Chat. Und da war sie dann die Frage nach meiner Expertise. Und die Antwort "mein Haus, mein Boot, mein Pool, mein Handicap…".

Meine Aufgabe als Mentor besteht nämlich NICHT darin, dir etwas beizubringen, was ich viel, viel besser weiß als du. Meine einzige Aufgabe besteht darin, dich darin zu unterstützen, es selbst zu tun (Goddess bless Maria Montessori).

Und wenn es zehn Jahre lang dauert, bis du endlich deine Handlungskompetenzen so sehr erweitert hast, dass du den Schritt wagst.

Mein Lieblingsbeispiel ist der Vergleich von Müttern und Omas mit den Enkeln (wohlgemerkt ist das keine Verallgemeinerung, sondern entspringt ausschließlich meiner Erfahrung und Beobachtung).

1. Wenn ein Kind anfängt zu krabbeln, dann versuchen die stolzen Eltern es dazu zu bringen so schnell wie möglich zu laufen. Die Folge ist, dass wir nur - ich sag's jetzt mal so bitter, wie es ist - behinderte Kinder haben, weil die Koordination zwischen der linken und der rechten Gehirnhälfte nicht funktioniert. Omas lassen das Kind krabbeln, weil sie aus Erfahrung wissen, dass es dann Zeit ist zu laufen, wenn es eben Zeit ist. Solange halten sie das aus, und halten es auch aus, dass sowohl ihr Rockzipfel wie auch das Tischtuch dazu hergenommen wird, um das Stehen zu probieren.

2. Wenn Kinder anfangen zu laufen, werden sie auch mal gehörig auf die Fresse fallen. Ist so. Die Mutter fängt das Kind am besten schon im Fallen auf und tut alles, um das schmerzhafte Fallen überhaupt zu vermeiden. Die Folge kenne ich aus dem Sportunterricht, wo ich mich echt schon nichts mehr getraut habe, weil die Kinder nicht mehr fallen konnten, die wussten einfach nicht mehr, dass man die Hände dazu benutzen kann, um sich selber aufzufangen. Omas lassen das Kind auch mal hinfallen, dann gibt's einen Blick, der Aufmerksamkeit, Verständnis und vor allem das Gefühl von "alles ist gut und Hinfallen gehört dazu" vermittelt. Mehr nicht (naja, vielleicht wird auf das schmerzende Knie gepustet).

Mein Lieblingsbeweis ist dieser junge Mann, der Flugzeug-Ingenieurwesen studiert und erst mit 14 sich selbst (!) das Schreiben beigebracht hat. Vorher sind alle Lehrer und auch die Coaches gescheitert, denn er wusste einfach nicht, warUM er es lernen sollte. Bis dann eines Tages der Impuls dazu kam in Form einer blondgelockten jungen Frau, der er dann doch die eine oder andere SMS schicken wollte.

Warum er es lernen sollte…

Ein Coach ist der Linearität des "um zu" verpflichtet. Ich komme zum Coach UM abZUnehmen, UM einen Marathon laufen ZU können, UM die Play-offs ZU gewinnen.

Das heißt: Ich bin zu dick, zu unsportlich, zu schwach, zu doof - und muss dringend etwas verbessern.

Nein. Musst du nicht. Also, zumindest nicht, weil jemand es dir sagt.

Du bist okay so, wie du gerade da bist. Das auszuhalten ist deine Aufgabe als Mentee. Und das ist die härteste Lektion, die ich kenne. Da wird dir kein Coach und auch kein schnöder Lehrer dabei helfen können. Denn die werden immer irgendwas von dir wollen. Dich optimieren nämlich.

Nur: Du bist schon fertig. Alles ist bereits da. Meine Aufgabe als Mentor ist es, mit dir zusammen am Strand/Moor deiner Persönlichkeit zu sitzen, deinen Wellen nachzulauschen und Sandburgen zu bauen, weil darunter dein durch von Außen aufoktroyierten Selbstoptimierungswahn verschüttetes Ich-Bin zum Vorschein kommt. Naja, manchmal gebe ich dir vielleicht die ein oder andere Schaufel oder Dynamitstange in die Hand, wenn du auf Granit beißt, oder lasse dich die Glühbirne auswechseln, wenn ich merke, dass du mal wieder zu gebeugt bist.

Manchmal werde ich auch Göttin durch mich sprechen lassen (ganz in der Nachfolge Mentors), denn ich folge keinem Lehrplan und keiner Zielvereinbarung. Ich folge ausschließlich ihr, ihren Impulsen und damit meiner Erfahrung, die ich an ihrer Hand erleben durfte.

In der Hauptsache aber werde ich dich lehren (also doch…) die Klaviatur des Lebens zu spielen - und zwar die ganze - und die Lieder des Seins zu singen. Weil ich es tue - und dabei auch mal scheitere, auf die Fresse falle und lache.

Wie? Einfach indem ich dich so wundervoll und besonders sein lasse, wie du bist. Das ist alles.

Und weißt du, was das schönste ist? Ich will gar kein Experte oder Coach sein, denn dann dürfte ich ja gar nichts mehr von dir lernen. Dann dürfte ich ja gar nicht mehr zusammen mit dir spielen.

Und das ist es jetzt, das Schönste: Dass wir zusammen spielen können. Da, am Strand des Lebens.

Vielen Dank an Mia Brummer , meiner absoluten Lieblingsmentorin. Danke, dass du mir beim Spielen am Strand auch öfter mal das Schäufelchen drüber gezogen hast, mit mir gelacht hast, mich getröstet hast, mich ich sein lässt und dabei so wundervoll unterstützt.

Danke auch an Gela Löhr , du wuide Schreibmentorin mit den unerschöpflichen göttlichen Impulsen, die mich jedesmal wieder aus der Tiefsee ziehen (für die ich keine Expertin bin).

Danke, dass ich von euch lernen darf ( ) eine Mentorin der neuen Zeit zu sein.






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