Zitat: "Ein Schriftsteller ist ein Mann, der sich schwerer tut mit dem Schreiben." Thomas Mann

15.8.2021

»Ein Schriftsteller ist ein Mann, der sich schwerer tut mit dem Schreiben« Thomas Mann

"Ja, ich weiß, dass euch das aufregt. Aber das ist meine Karte und ich würde heute gerne mal was dazu sagen."
Tante Alexandra nestelte an dem Karton in ihrer Hand herum.
Zwei Augenpaare blitzten sie an. Davon war besonders das von Oma Mary, genannt Bloody Mary, hervorzuheben, das sich als Laufband bis in den Grund ihrer Seele bohrte und da kurz und kräftig die Hand zur Faust schloss. Über das Band marschierte demonstrativ die Message, ein Buchstabe akkurat hinter dem anderen. "Und du glaubst, dass wir das nicht können", formierten sie.
Oma Wally, genannt Wally Blum, die sanfteste von ihnen, legte beruhigend die Hand auf Bloody Mary.
"Jetzt lass sie doch mal."
"Ich möchte heute einfach mal selber was sagen." Vorsichtig hob Tante Alexandra die Augen und versuchte Marys Blick standzuhalten. Wieso hatte sie eigentlich Angst? Mary würde sie schon nicht erstechen. Ne, Mary würde sie eher am ganzen Körper mit Honig einpinseln und dann die Bären aus der Nachbarschaft zum Festmahl laden…
"Ist klar, dass euch das gefällt." Holly, die dritte und sehr distinguierte - und Alexandras Lieblings-Oma, schaltete sich ein. "Weil ihr nur bis zum Komma mitgehört habt. Ihr seid schon bei 'ein Schriftsteller ist ein Mann' abgegangen, wie vergangene Woche Schmidts Katze, als sie den Boxer verdroschen hat."
Sehr gut, ihre Schwester Mary hatte den Säbelblick wieder eingerollt, denn die hatte die eben erwähnte Szene am meisten genossen.
"Hören wir uns doch mal den ganzen Satz an. Und - das dürft ihr nicht vergessen - der Typ hat den Literatur-Nobelpreis gewonnen."
"Weil er Mystery geschrieben hat." Wally schien sich an irgendein Buch mit düsteren Kanälen zu erinnern.
"Ach was, Mystery - History hat er geschrieben, fürchterlich lange Geschichten, die keinen interessieren." Bloody Mary verdrehte die Augen."
"Außerdem war er schwul." Vier Augenpaare, was acht Augen sind, schickten sich an, Didikoku, die kleine Maus, zu umkreisen, die in der Mitte des Tisches saß.
"Nein?" Didikoku blickte von einem Auge zu anderen. "Ist auch egal." Damit ringelte sie sich wieder zum Kreis und schlief weiter. Literatur war nicht so ihr Ding, die Zellulose verfing sich immer so zwischen ihren Zähnen. Mit Käse kannte sie sich da schon besser aus.
Tante Alexandra hasste diese Samstag-Abend-Debattierclubs. Alle versammelten sich um einen Stapel Karten mit Zitatimpulsen und zogen dann. Dann durfte normalerweise (normalerweise!) jeder Ziehende erstmal reden. Dann (dann!) wurde debattiert. In dieser Familie natürlich nicht. Und ausgerechnet heute hatte ihr das blond-gelockte Schicksals-Engelchen diese Karte beschert.
"Lies doch nochmal den ganzen Satz vor!" Aufmunternd nickte Holly ihr zu.
"Okay. Ein Schriftsteller ist ein Mann,…" Holly schickte Blickblitze in Richtung ihrer Schwestern. "...dem das Schreiben schwerer fällt als anderen Leuten."
Verächtlich schüttelte Bloody Mary den Kopf. Doch sie schwieg.
"Vielleicht hat er gemeint, dass sich ein SchriftSETZER schwerer tut mit dem Schreiben." Oma Wally war immer so bemüht, nur das Gute in jeder Situation zu sehen. Dann schwieg sie auch wieder, was wohl unterschwellig etwas damit zu tun hatte, dass Holly ihr unterm Tisch ans Bein getreten hatte.
Erwartungsvoll blickten die Omas sie an. Sogar fast aufmunternd.
Tja, was sollte sie jetzt sagen?
Fiel ihr das Schreiben schwer? Eigentlich gar nicht. Schreiben war für sie, als würde sie ihren Finger kurz anschlecken und ihn dann in die Luft heben, in das pulsierende Universum der UnMöglichkeiten - irgendwas blieb immer kleben. Und das schrieb sie auf.
'Schwerer tut mit dem Schreiben'. Ja, manchmal schon. Sie kannte die grausamen Morgen, in denen sie vor der großen, weißen Mauer, genannt Papier, stand und die Eingangstür nicht fand.
Die Eingangstür. Eigentlich war diese Tür leicht und vor allem leicht zu öffnen. Sie wusste selber nicht, wieso sie immer wieder verschwand. Dann drückte sich Tante Alexandra immer ein paar Sätze lang an der Mauer herum - und irgendwann tauchte die Tür plötzlich auf und sie musste nur noch hindurchtreten.
Wally hielt es nicht mehr aus und platzte.
"Mir tut der leid. Warum hat er denn geschrieben, wenn es ihm so schwer fiel?" Mit Grauen dachte sie an Kläuschen aus ihrer Grundschulzeit. Der hatte sich auch so schwer getan. Nichts hatte der Zwickzwack je gefallen. Immer war alles rot gewesen.
"Ich kann mir auch einfach gut vorstellen, dass dieser Druck des westlichen Kapitalismus schwer auf ihm gelastet hat." Holly wieder mit ihrer Systemkritik. "Immer besser, immer schneller, immer mehr! Da geht so mancher dran zugrunde."
"Jetzt hör aber auf! Der Kerl hat es doch schon selber beantwortet. Der Schriftsteller ist ein Mann! Und Männer sind sooooo wehleidig." Bloody Mary hatte gesprochen. Hugh.
Tante Alexandra blickte versonnen auf. Jede von ihnen hatte Recht. Dann war sie bereit für ihre These.
"Bullshit."

Kennst du das? Du liest ein Zitat - und sofort geht’s ab in deinem Kopf? Wie ein Ohrwurm lässt es dich den ganzen Tag nicht mehr los und taucht immer wieder an den unpassendsten Stellen auf. Mein Tipp: Journale es zum Schweigen! Schreib das auf, was dir einfällt!

#schreibrebellen
Wieder einer von Gela Löhrs von #lemondays unerschöpflichen Coaching-Impulsen <3